Kindheit

Der große Bruder Helmut muss auf den kleinen Günter aufpassen
Der große Bruder Helmut muss auf den kleinen Günter aufpassen

Geboren bin ich am 11. Dezember 1947 in Hanweiler/Bad Rilchingen im Saarland. Der 2. Weltkrieg war seit zwei Jahren zu Ende. Aber das Dorf Hanweiler, direkt an der französischen Grenze, hatte es schwer erwischt. Überall zerbombte und verbrannte Häuser. Als Kinder spielten wir in diesen Trümmerfeldern.

Wir wohnten in der Saargemünder Straße 19 im Haus von Tante Lena. Tante Lena hieß eigentlich Helene Molitor und wohnte im Untergeschoss. Sie war nicht meine richtige Tante, aber ich nannte sie so. Wir wohnten im Obergeschoss. Wir hatten da ein Plumsklo und als Toilettenpapier wurden zugeschnittene Zeitungen verwendet. Ein Teil des Daches war undicht. Wenn es regnete floss Wasser in unser Kinderzimmer, das Schlafzimmer meiner Eltern und in das Wohnzimmer. Nur die Küche blieb trocken.

Das ehemalige Haus von Tante Lena wie es heute aussieht
Das ehemalige Haus von Tante Lena wie es heute aussieht

Ich verbrachte, bevor ich eingeschult wurde, viel Zeit bei Tante Lena. Sie hatte ein Zimmer, dass vollgestopft war mit alten dicken Büchern und Zeitungen. Ich erinnere mich noch an ein altes dickes Buch mit einer Zeichnung von König Herodes, wie er mit seinem Schwert kleine Kinder tötete.

Vor dem Haus war ein verwilderter Vorgarten mit Flieder- und Hagebuttensträuchern. Hinter dem Haus war ein ganz großer verwilderter Garten mit allerlei Sträuchern und Obstbäumen und Wiesenblumen. Im Sommer gab es da Hunderte von summenden Insekten und bunten Schmetterlingen. Ganz am Ende des großen Gartens von Tante Lena hatten meine Eltern ein kleines Stück Garten „gemietet“. Sie pflanzten dort Kartoffel, Erbsen, Bohnen, Erdbeeren usw. an. Meine Mutter kochte dann das meiste in Einmachgläser ein. Essen für den Winter.

Noch ein bisschen weiter hinten stand ein großer Baum mitten in einem Pfefferminzfeld. Ich lag da als kleiner Junge oft mit verschränkten Armen hinter dem Kopf und blinzelte in die lichtdurchtränkten weißen Wölkchen, die am Himmel vorbeizogen. Mein Platz zum Träumen.

Um 17.15 Uhr kam der Zug aus Saarbrücken am Hanweiler Bahnhof an. Kurz nach 18.00 Uhr kamen dann an unserem Haus in der Saargemünder Straße ungefähr 15 schwarz gekleidete Männer mit Batschkappen vorbei. Einige hatten nur noch einen Arm, anderen fehlte ein Bein und gingen an Krücken. Der Krieg war noch allgegenwärtig. Ich warte auf meinen Vater, genannt Paps. Er arbeitete bei den Saarbergwerken in Saarbrücken als Arbeiter in einer Schreinerwerkstatt und war meist auch in diesem Zug. Manchmal war auch der jüngere Bruder von Paps, Onkel Erich, in dem Zug. Er gab mir oft 10 Pfennige. Damit konnte ich mir dann im Café Löw nebenan eine Kugel Eis kaufen.

Auf unserer Straße, die Straße war Teil der Hauptstraße, die bis an die französische Grenze führte, kamen auch manchmal noch Pferdefuhrwerke vorbei. Meine Mutter, genannt Mutsch, und ich sammelten dann die Pferdeäpfel ein, um die Pflanzen im Garten zu düngen.

Schule

Die Hanweiler Volksschule mit dem Eingang zur Dusche
Die Hanweiler Volksschule mit dem Eingang zur Dusche

In Hanweiler ging ich auch ein Jahr zur Volksschule. Die Schule war ca. vier Kilometer von unserer Wohnung entfernt, gegenüber dem Bahnhof. Dort gab es auch eine Dusche. Immer samstags ging ich mit meinem großen Bruder und Vetter Lothar dahin zum Duschen.

1955 erfolgte dann der Umzug nach Saarbrücken. Wir bezogen in der St. Johanner Straße 19 im Ortsteil Malstatt eine Werkswohnung der Saarbergwerke. Auch hier waren die Folgen des 2. Weltkrieges noch allgegenwärtig. Zerbombte Keller, in denen wir, die Kinder, in den ersten Jahren spielten. Hier gab es allerdings eine richtige Toilette und eine Sitzbadewanne. Die Wohnung wurde auch mit Kohle geheizt, und gekocht wurde auch auf einem Kohleherd. Ich musste pro Tag immer drei Eimer Kohle zum Heizen und Kochen aus dem Keller hochtragen. Glücklicherweise wohnten wir im Erdgeschoss.

Jeden Samstag wurde der Boiler für die Badewanne mit dem Kohleofen angeheizt und meine Eltern und meine zwei Brüder und ich erhielten eine „Grundreinigung“. Die Wasserfüllung der Badewanne musste immer für zwei Personen nacheinander reichen. Trotz all dem Comfort, ich vermisste Tante Lena und den wilden Garten sehr.

In der Wallenbaumschule, der Volksschule, kam ich gut zurecht und war bald der beste Schüler. Unser Lehrer war der Herr Pfeifer. Herr Pfeiffer hatte nur einen Arm. Den anderen hatte er im Krieg gelassen. Ich bewunderte ihn insbesondere, wenn er im Musikunterricht mit einem Arm Klavier spielte.

Meine Klasse in der Wallenbaumschule mit Lehrer Pfeifer
Meine Klasse in der Wallenbaumschule mit Lehrer Pfeifer

Irgendwann kam dann die Entscheidung Gymnasium oder nicht. Ich war ein so guter Schüler, dass Lehrer Pfeiffer meine Mutter überredete auf ein Gymnasium zu gehen. Auf ein naturwissenschaftliches Gymnasium, natürlich. Auf die Oberrealschule in Saarbücken.

Ein großer Fehler, denn von nun an ging es bergab. Die Noten wurden schlecht bis sehr schlecht. Mein Selbstbewusstsein und meine Motivation gingen in den Keller. Dazu kam mein schlechtes Gewissen. Meine Familie war arm, und die notwendigen Schulbücher kosteten viele Geld.

Der „gebrauchte“ Atlas
Der „gebrauchte“ Atlas

Ich erinnere mich noch sehr gut, an den Kauf eines Dierke Weltatlas. Das Buch war sehr teuer und meine Eltern hatten das Geld nicht. Der Erdkundelehrer hatte mich schon viele Male erinnert, dass ich den Atlas, auch für die Hausaufgaben, unbedingt brauchen würde. „Du bist der einzige in der Klasse, der keinen Atlas hat“. Ich sagte es mal wieder meiner Mutter. Und eines Tages kam Mutsch mit einem gebrauchten Dierke Weltatlas an. Er war in blauer Schutzfolie verpackt, die Ecken und Kanter waren beschädigt, aber ich hatte einen Atlas. Und habe ihn heute noch.

An Klassenfahrten, z.B.: Sprachen lernen in Frankreich oder England konnte ich natürlich nicht teilnehmen. Kein Geld.

Und neue Kleidung gab es auch nicht. Mein Vater war ja Schreiner bei den Saarbergwerken und ging abends immer noch arbeiten. Bei den Angestellten und Beamten der Saarbergwerke (er war ja „nur“ Arbeiter) verrichtete er kleinere Reparaturarbeiten. Ich begleitete ihn oft und trug seinen relativ schweren Werkzeugkasten. Wir hatten ja kein Auto und mussten oft kilometerweit gehen, bis zu den Kunden. Und die bezahlten dann oft auch mit getragenen Kleidungsstücken für mich.

Irgendwann war es dann so weit, meine Versetzung und damit auch die Mittlere Reife war stark gefährdet. In Mathematik was die „5“ nicht mehr zu verhindern und im Sport drohte die nächste „5“. Mir taten meine Eltern, insbesondere meine Mutter, leid. Sie hatten im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles, aber auch alles, getan, um mir zu helfen und mich zu unterstützen.

Es war die Zeit der Winterspiele. Da bestand Sport weitgehend aus Turnen und Schwimmen. Turnen konnte ich nicht gut und Schwimmen so gut wie gar nicht. Da kam unser Sportlehrer, es war der Herr Backes und trug immer einen blauen Trainingsanzug mit ausgebeulten Hosen, auf eine für mich glorreiche Idee. Er erklärte, dass er die Zeugnisnote wie folgt festlegen würde. Es gab 3 Disziplinen: Schwimmen, Tauchen und Springen. Je nach Leistung gab es Noten zwischen 1 = Sehr gut und 6 = ungenügend. Herr Backes bestimmte, dass es für einen Salto vom 3 Meter Turm eine 1 = sehr gut geben würde. Ich brauchte nicht viel zu rechnen, denn für Schwimmen und Tauchen gab es für mich in jedem Fall eine 6. Es blieb also der Salto vom 3 Meter Turm. Wenn ich da eine 1 = sehr gut erreichen würde, wäre das Gesamtergebnis 13:3= 4. Ausreichend mit einem kleinen Minuszeichen. Aber es würde für die Versetzung und die Mittlere Reife reichen.

Der 3 Meter Turm im damaligen Stadtbad von Saarbrücken

Und so passierte es. Ich war zwar vorher noch nie, überhaupt noch nie, von einen 3 Meter Turm gesprungen, aber jetzt machte ich es. Ich ging an die Spitze des Brettes, machte die Augen zu, sprang 2 x kräftig auf und machte einen Salto ins Wasser. Platsch.

Mein Salto war zwar eher ein Purzelbaum. Aber bewertet wurde nur die sportliche Note und nicht die Haltungsnote. Und die sportliche Note „1“ verschaffte mir die Mittlere Reife.

Meine Schulkollegen, die mich bei Schwimmen immer eher mitleidig belächelt hatten, rieben sich ungläubig die Augen. Und unseren beiden Schwimmchampions, Norbert Holzer und Gerhard Kruchten blieb jetzt nichts anderes übrig als auch einen Salto zu springen. Wenn nicht, hätten die beiden erheblich an Ansehen bei den Schulkameraden verloren.

Meine Tochter hat mich einmal gefragt „Was war das entscheidende Erlebnis, dass dein Leben verändert hat“? Es war dieser Saltosprung vom 3 Meter Brett im Stadtbad in Saarbrücken. Dieser Sprung war der Start in ein neues selbstbewusstes Leben.

Wie es beruflich weiter ging lesen Sie in der Rubrik „Meine Lehrer“ auf dieser Seite und ausführlich in meiner Biografie.

Unternehmer

Am 1. Juli 1982 gründete ich dann mit 4000 DM Startkapital und einem alten, rostigen Peugeot 104, den ich meiner Freundin Renate für 300 DM abgekauft hatte, die TAS Telemarketing GmbH und weitere Unternehmen in den Bereichen Training + Consulting für Vertrieb, Marketing und Kundenservice, Multimedia und E-Learning.

Heute lebe ich im wunderschönen, historischen, ligurischen Bergdorf Perinaldo. Hier schreibe ich Bücher, habe eine kleine Galerie, treffe Freunde und helfe Menschen und auch noch Unternehmen.

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